Der Bartgeier gilt als grösster Vogel in Europa. Früher hat man ihn als «Lämmerdieb» bezeichnet, doch das ist falsch. Der Bartgeier ernährt sich von toten Tieren und sogar fast nur von deren Knochen. Sind diese zu gross, lässt er sie auf Felsen fallen, damit sie zersplittern.
Bartgeier haben ihr Nest (Horst) meist oberhalb der Baumgrenze in felsigen Gebieten. Da der Bartgeier keine Tiere tötet, braucht er Lebensräume, in denen viele Rehe, Hasen, Hirsche und andere Tiere leben. Nur hier sterben genügend Tiere an Krankheiten, verhungern oder verunfallen, sodass die Bartgeier genügend Futter finden.
Das Gebiet eines Bartgeierpaars ist zwischen 200–400 Quadratkilometer gross. Zum Vergleich: Der Kanton Schaffhausen ist etwa 300 Quadratkilometer gross. Bartgeier baden sehr gerne in Tümpeln, Flüsschen und eisenhaltigem Schlamm. Dieser Schlamm hat eine rote Farbe. Deshalb verfärben sich die Federn am Hals und vorne an der Brust rot.
Der Bartgeier ernährt sich fast nur von den Knochen toter Tiere (Aas). Er tötet die Tiere jedoch nie selber. Dank seinem sauren Magensaft kann der Bartgeier sogar grosse Knochenstücke mühelos verdauen.
Bartgeier mögen besonders das fetthaltige Knochenmark im Inneren der Knochen. Um an das Knochenmark zu gelangen, fliegt der Bartgeier mit grossen Knochen in eine Höhe von bis zu 150 Metern und lässt sie dann auf einen Felsen fallen. Dadurch zersplittern die Knochen.
Nachdem die Jungtiere das Gebiet der Eltern verlassen haben, unternehmen sie weite Streifzüge. Erst ab etwa fünf Jahren sind sie geschlechtsreif. Haben sie einen Partner gefunden, bleiben sie ein Leben lang mit ihm zusammen. Das Paar verteidigt sein Gebiet heftig gegen andere Bartgeier.
Bartgeier bauen ihr Nest oft in tiefen Felsnischen oder in einer Höhle. Sie polstern das Nest mit Gras, Ästen, Schafwolle oder Resten von Tierfellen aus.
Das Weibchen legt zwischen Dezember und Februar zwei Eier. Es brütet sie zusammen mit dem Männchen während 52 bis 58 Tagen aus. Meist überlebt nur eines der Jungen. Das Stärkere tötet das Schwächere oft innerhalb der ersten Wochen. Das zweite Ei dient nur als Absicherung, falls dem ersten etwas zustossen sollte.
Die Jungen schlüpfen gegen Ende des Winters. Dann gibt es für die Bartgeier auch am meisten Nahrung, da viele Wildtiere den Winter nicht überlebt haben.
Nach ungefähr vier Monaten unternimmt der junge Bartgeier seinen ersten Flug.
Früher hatten die Menschen Angst vor Bartgeiern und töteten sie. Sie dachten, sie würden Schafe jagen und sogar kleine Kinder packen und fressen. Das stimmt natürlich nicht. Bartgeier sind sehr scheue Vögel. Wenn immer möglich, vermeiden sie Begegnungen mit Menschen. Sie können nicht erfolgreich brüten, wenn man sie stört.
Der Lebensraum des Bartgeiers ist in vielen Gegenden zerstört, und es gibt zu wenige Wildtiere. So findet der Bartgeier nicht genug zu fressen. An manchen Orten frisst er deshalb tote Nutztiere und Schlachtabfälle. Nutztiere bekommen oft sehr viele Medikamente. Die Wirkstoffe aus diesen Medikamenten sind auch noch im toten Tier zu finden. Für den Bartgeier sind diese Stoffe giftig.
Auch sonst sterben viele Bartgeier an einer Vergiftung, zum Beispiel, wenn sie vergiftete Köder fressen oder tote Tiere, die mit Bleimunition geschossen wurden.
Der Bartgeier war über längere Zeit im ganzen Alpenraum ausgestorben. Der WWF hilft seit 1978 mit, die Bartgeier wiederanzusiedeln und unterstützt Projekte mit Geld. Ausserdem informiert er die Menschen über den Bartgeier, damit sie keine Angst mehr vor ihm haben.